gute aussichten 2017/2018

gute aussichten Preisträger 2017/2018 und gute aussichten Begründer Josefine Raab und Stefan Becht

Junge deutsche Fotografie

24. November 2017 – 4. Februar 2018

Mit

Stephan Bögel(Ostkreuzschule Berlin)
Janosch Boerckel (Fachhochschule Bielefeld)
Alba Frenzel (Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig)
Laura Giesdorf (Berliner Technische Kunsthochschule)
Ricardo Nunes (Hochschule für Künste Bremen)
Alexandra Polina (Fachhochschule Bielefeld)
Julian Slagman (Neue Schule für Fotografie Berlin)
Rie Yamada (Kunsthochschule Berlin-Weißensee)

Einmal im Jahr kürt die Jury des Wettbewerbs „gute aussichten – junge deutsche fotografie“ die besten Arbeiten einer neuen Fotografen-Generation. Zum zweiten Mal findet die Auftaktausstellung des wichtigsten deutschen Nachwuchspreises für Fotografie im NRW-Forum Düsseldorf statt.

Im 14. Jahr von gute aussichten wählte die Jury aus 94 Einreichungen und 35 Institutionen acht Arbeiten aus: Mit Bildern über Bilder sprechen.  Insgesamt präsentiert gute aussichten – junge deutsche fotografie // new german photography 2017/2018 über 200 Motive, darunter 52 Unikate, 10 handgefertige Foto-Familien-Alben, zwei Bücher, eine 2-Kanal-Video-Projektion, eine Dia-Projektion und ein großes Spektrum vielfältiger Ideen, Überlegungen und fotografischer Strategien, formaler wie medialer Umsetzungen, die den aktuellen Status Quo der jungen Fotografie abbilden.

Die diesjährige Jury sind:

Josefine Raab und Stefan Becht, Begründer gute aussichten
Boris Becker
, Fotograf, Künstler und Filmemacher
Dr. Wibke von Bonin
, Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin
Tamara Lorenz, Fotografin, Künstlerin und gute aussichten Preisträgerin 2004/2005
Amélie Schneider, Bildchefin des Magazins NEON
Alain Bieber
, Künstlerischer Direktor des NRW-Forum Düsseldorf
Mario Lombardo, Bureau Lombardo
Ingo Taubhorn
, Kurator am Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg

Preisträger 2017/2018

Stephan Bögel // Scenic Uath // Ostkreuzschule Berlin
Der frei gewählte Tod eines geliebten Menschen hinterlässt eine klaffende Wunde im Herzen Angehöriger und Freunde. Viele schmerzhafte Fragen stellen sich – nach dem Warum, nach eigener Schuld und Verantwortung. Die meisten dieser Fragen finden keine schlüssigen Antworten und sickern nach und nach unter einen Mantel des Schweigens. Stephan Bögel unternimmt in Scenic Utah den Versuch, für diesen blinden Fleck in seinem Leben Bilder zu finden, dem Unfassbaren eine Kontur zu verleihen. Mit Fotos aus dem Familienalbum, eigenen Inszenierungen und den Fakten aus dem Polizeibericht konstruiert er ein nüchtern angelegtes Szenario, das keine dieser Fragen beantwortet, doch das quälende Schweigen durchbricht. 

Janosch Boerckel  // Nonplusultra // Fachhochschule Bielefeld
Was gerade alles an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine in den Laboren der Human- und Naturwissenschaftler erforscht wird, davon zeichnet Janosch Boerckel in Nonplusultra einen bildreichen Querschnitt, der zwischen Dokumentation und Inszenierung, zwischen Fiktion und Realität oszilliert. Wo der Mensch in seine Bauteile zerlegt wird, um Erkenntnisse für den künstlichen Ersatz von Armen, Beinen, Ohren und sonstigen Körperteilen zu gewinnen, dokumentieren und kommentieren Boerckels Fotografien jedoch nicht nur, sondern untersuchen und befragen auch die visuellen Parameter von wissenschaftlichen Bildern. 

Alba Frenzel // Fotopapier, Licht, Ei // Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
3-, 5-, 7-Minuten-Eier, Spiegelei, Rührei, Ei in Scheiben, rohes Ei – die gesamte Palette denkbarer Aggregatzustände von Hühnereiern wird von Alba Frenzel auf Fotopapier gelegt, variierenden Einfallswinkeln von Licht und diversen Papieren ausgesetzt. So entstehen Fotogramme und diese Art der kameralosen Bilderzeugung geht quer durch die Geschichte der Fotografie. Mutet uns also die Technik wie ein alter Bekannter an, so ist das finale Gewand der unikaten Laborergebnisse, in dem Fotopapier, Licht, Ei an der Wand erscheint, doch erfrischend neu. Die Künstlerin, die ihre Farbfotogramme ohne Rahmen an die Wand bringt, beschneidet ihre Blätter. Daraus entwickelt sich eine überraschende Choreographie, deren Aura des kalkuliert Unperfekten integrativer Bestandteil ihrer visuellen Stärke ist. 

Laura Giesdorf // Full Coverage Makeup Tutorial – Concealing Myself with Flawless Monotony // Berliner Technische Kunsthochschule 
Glam, Modern, Simple, Every Day Makeup – ganz gleich, welchen Stil Frau braucht, es reicht ein Klick im Internet, und das gewünschte Aussehen wird uns von perfekt geschminkten Damen Schritt für Schritt erklärt. Laura Giesdorf will jedoch alles andere, als uns den neuesten Style verpassen. Ihre Frage, die hinter den monoton, lasziv und bis an die Grenze des Obszönen anmutenden Schminkvorgängen lauert, lautet: Was macht eine Frau zur Frau? Jenseits der biologischen Unterschiede sind es vor allem die Rollenzuweisungen, die eine Gesellschaft vornimmt, die Geschlechteridentitäten erzeugen. In diesem Sinn ist Giesdorfs Video als Aufruf zu verstehen, vorgegebene Rollenmuster auf- und zu durchbrechen.

Ricardo Nunes // Places of Disquiet // Hochschule für Künste Bremen
Betrachtet man das Portugal, das Ricardo Nunes zeichnet, so ist mehr als deutlich, wie bestimmend unser Gefühl mit den Bildern, die wir aus Erinnerungen formen, verknüpft sind. Landschaft wird bei Nunes zur Stadtlandschaft, dunkle Häuserschluchten mit harten Schatten, nahezu menschenleere, in mittäglicher Hitze brütende Straßen, trostlose Betonsilos, die wie steinerne Gebirge in den Himmel ragen. Nunes Places of Disquiet, „Orte der Unruhe“ erzählen von kindlichem Befremden zwischen Onkeln, Tanten und Cousinen, die ritualhaft besucht werden mussten, und Orten, die für das Kind mit dem Gefühl von Verlorenheit und Fremde verbunden sind. 

Alexandra Polina // Masks, Myths and Subjects // Fachhochschule Bielefeld
Starkes Licht und kräftige Farben springen uns aus Alexandra Polinas Installation entgegen. Folkloristische Muster bilden den Hintergrund, auf dem sich Portraits tummeln. Die Hautfarbe der Protagonisten changiert zwischen weiß und milchkaffeebraun. Ein Mann ruht umgeben von Orientteppichen auf der Erde, ein Anderer liegt inmitten von Splittern chinesischen Porzellans. Solcherlei Attribute lesen sich als Teile eines Puzzles, das wir geschwind zusammenfügen: Sehen wir farbenfrohe Muster, denken wir an Afrika. Sehen wir Porzellan, so kommt es originär aus China und angesichts der Teppiche wähnen wir uns im Orient. Am Ende geht das Puzzle aber nicht so auf wie gedacht und wir blicken tief in den Spiegel unserer eigenen Klischeevorstellungen: Masks, Myths and Subjects. Die Menschen auf Polinas Fotografien sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Und es ist an uns, das Bild in unseren Köpfen von unseren Mitbürgern an die leibhaftige Realität anzupassen. 

Julian Slagman // Vergissmeinnicht // Neue Schule für Fotografie Berlin
Ein kleiner Junge steht neben einem Alu-Koffer, der seinem Großvater Fritz gehört und darin befinden sich fotografische Utensilien. Als Auftragsfotograf nimmt Fritz Landschaftsbilder für Druckerzeugnisse wie Kalender oder Puzzles auf. Kaum neun Jahre alt, beginnt das Kind selbst, die Familie zu fotografieren, und führt damit die Tradition des Bilder-Schaffens fort. Viele Jahre später wird der junge Mann in Vergissmeinnicht ein Bild-Objekt in Form des vertrauten Koffers anfertigen, über dessen Rahmen und Vorderseite Puzzle-Teile tanzen. Die Zeitspanne zwischen beiden Bildern markiert einen Werdungsprozess: Von dem Kind, das durch die tägliche Begegnung mit Fotografie selbst zum Fotografen wird. Indes ist es nicht das Bild als autonomes Werk, dem Slagman seine Aufmerksamkeit schenkt. Julian Slagmans Art der Fotografie ist eine kontinuierliche Befragung seiner bildsprachlichen Herkunft. Diese wurzelt in der vergleichenden Betrachtung des familieneigenen Archivs und seinem eigenen Schaffen. 

Rie Yamada // Familie werden // Kunsthochschule Berlin-Weißensee
Rie Yamada erwirbt Sammlungen alter Familienbilder und (re)konstruiert daraus fremde Lebensläufe. Indem sie Bilder auswählt, nahezu archetypische Erzählstränge entwickelt und diese anekdotisch garniert, erweckt Yamada die Geschichten der Familien zu neuem Leben. In zehn handgefertigten Alben halten wir Erzählungen in Händen, die all das wiedergeben, was seit dem Siegeszug von Kleinbildkameras auf Zelluloid gebannt wurde: Ausflüge, Heirat, das Leben der Kinder, Familie werden – alles, was Menschen im Zeitspeicher Fotografie vor dem Vergessen retten wollen. Aber das eigentliche Anliegen Yamadas ist es, selbst in die Rolle ausgewählter Protagonisten zu schlüpfen und in persona das historische Foto in allen Details nachzustellen. Am Ende sitzt Rie Yamada schon mal als rauchende Frau Kunze auf dem Wohnzimmersofa. Um es mit dem französischen Schriftsteller André Gide zu sagen: "Das beste Mittel, sich selber kennen zu lernen, ist der Versuch, andere zu verstehen."

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